Das Prinzip der Achtsamkeit (englisch: Mindfulness) stammt ursprünglich aus der buddhistischen Lehre. In den letzten Jahren wurden die Vorzüge der achtsamkeitsbasierten Übungen zunehmend aber auch in der westlichen Welt entdeckt, und so sind diese mittlerweile fester Bestandteil viele Meditationsprogramme, die in Kliniken, Seminaren oder psychotherapeutischen Praxen zur Anwendung kommen.  Zahlreiche wissenschaftliche Studien konnten in den letzten 10 Jahren die positive Wirkung der Achtsamkeit bei der Bewältigung von Stress und psychischen Störungen bestätigen. Aber auch wenn du mit deinem Leben im Allgemeinen zufrieden und mit dir im Reinen bist, kannst du mit dem aktiven Praktizieren von Achtsamkeit im Alltag deine Lebensqualität spürbar verbessern.

Das grundsätzliche Ziel jeder achtsamkeitsbasierten Übung ist, dass der Praktizierende lernt ganz im gegenwärtigen Moment anwesend zu sein, und zwar mit allen Sinnen. Es geht darum, wahrzunehmen, was aktuell gerade „da ist“, seien es Körperempfindungen, Gefühle, die körperlichen Auswirkungen von Gefühlen oder Gedanken. Dabei wird allen Wahrnehmungen eine gleichermaßen einladende und wohlwollende Haltung entgegengebracht. Eine achtsame Haltung zeichnet sich durch einen Zustand des Annehmens aus, bei dem die eigenen Gedanken, Körperempfindungen etc. nicht bewertet werden. Eine solche Geisteshaltung kannst du durch formale Übungen und regelmäßiges Praktizieren erlernen und nach und nach in allen Bereichen des Alltags einsetzen.

Wenn du dich eingehender mit dem Thema Achtsamkeit beschäftigst, wirst du schnell feststellen, dass es praktisch keinen Lebensbereich gibt, in dem sich die Vorzüge dieser Geisteshaltung nicht nutzen lässt. Während die meisten Menschen bei dem Begriff der Achtsamkeit zunächst einmal an die klassische Meditation denken, werden immer neue Kurse und Programme entwickelt, die uns dabei helfen sollen, Achtsamkeit in allen Bereiche unseres Alltags zu kultivieren. Es wäre doch schade, wenn die gelassene und akzeptierende Haltung, die viele durch die Achtsamkeitsmeditation erreichen, gerade dann nicht zur Verfügung stände, wenn sie am dringendsten gebraucht wird, nämlich im Angesicht der tagtäglichen kleineren und größeren Herausforderungen und Schwierigkeiten…

Auch Gehmeditation ist eine Achtsamkeitsübung.

Zu diesen zählen nicht nur ernste Probleme, wie sie psychische Erkrankungen, Schmerzen, körperliche Beschwerden oder chronischer Stress zum Beispiel bei der Arbeit mit sich bringen, sondern zum Beispiel auch der liebevolle Umgang mit dem Partner oder den Kindern, der im Alltag manchmal leidet, wenn gerade alles drunter und drüber geht. Durch Achtsamkeit lernst du, deinen Mitmenschen wieder besser gerecht zu werden und dadurch deine Beziehungsqualität und die Bindung zu deinen Familienmitgliedern zu stärken. Gleichzeitig tust du auch dir selbst etwas Gutes, indem du dir Zeit nimmst für die wirklich wichtigen Dinge in deinem Leben. Eine regelmäßige Schulung der eigenen Achtsamkeit hilft dir dabei, deine Körperwahrnehmung zu verbessern und dich selbst besser kennen zu lernen.

Du wirst feststellen, dass du im Alltag häufig beinahe automatisch „funktionierst“ und deine eigenen Bedürfnisse und Gefühle ignorierst. Durch gezielte Achtsamkeitsübungen nimmst du wieder Kontakt zu den Signalen auf, die dir Ihr Körper sendet. Du machst  die Erfahrung, über ungeahnte Ressourcen zu verfügen, die du nur für dich nutzen kannst, wenn du gut für dich und deine Bedürfnisse sorgst. Mit der Zeit wirst du so zu mehr Ruhe und Zufriedenheit finden und diese auch ausstrahlen. Deine Mitmenschen werden dich als empathischen, klugen Menschen erfahren, der Weisheit im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens demonstriert und durch seine achtsame Haltung als Vorbild dienen kann.

 

Achtsamkeit im Alltag lernen

Gute Gelegenheiten, um die achtsame Wahrnehmung zu schulen, sind beispielsweise das Essen und das Gehen. Viele Menschen widmen sich dem Vorgang des Essens nur am Rande und lassen sich bei den Mahlzeiten von Fernseher, Zeitung oder Gesprächen ablenken. Das Essen selbst wird beinahe automatisch ausgeführt, und was wir essen, ist oft eher zweitrangig. Achtsames Essen, im Gegensatz dazu, bedeutet, dass die Aufmerksamkeit gezielt auf alles gerichtet wird, was wir zu uns nehmen. Wie sieht die Nahrung aus? Wie riecht sie? Welche Textur hat sie auf unserer Zunge, nehmen wir Wärme oder Kälte, Geschmacksrichtungen wie sauer, süß oder bitter wahr? Wenn du auf diese Weise deine Mahlzeiten gestaltest, wirst du mit der Zeit eine ganz neue Qualität des Essens erfahren.

Beim achtsamen Gehen hingegen wird die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Körperempfindungen gelenkt, die während des Gehens auftreten. Dazu können das Aufsetzen der Füße, das Anspannen und Lockerlassen von Muskeln, Empfindungen von Wärme oder Kälte, angenehme Gefühle oder auch Schmerzen zählen.

 

 


Auch Achtsamkeit im Beruf lässt sich erlernen

In einer Arbeitswelt, die von einer ständigen Erreichbarkeit und zunehmender Komplexität gekennzeichnet ist, kann eine achtsame Haltung ein Mittel sein, um besser mit Herausforderungen und stressigen Situationen umzugehen. So konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Achtsamkeit im Job bei den Teilnehmern zu einer geringeren Erschöpfung und einer größeren Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit führte.

Einige der bewährten Achtsamkeitsübungen dauern nur wenige Minuten, sodass du sie auch am Schreibtisch oder sogar während eines Meetings einsetzen kannst. Schon einige Minuten am Tag, in denen man sich bewusst eine Auszeit gönnt und achtsam die eigenen Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen wahrnimmt, können langfristig als Schutzschild gegen Stress wirken.

 


Achtsamkeit in der Beziehung/ Partnerschaft

Im gegenwärtigen Augenblick ganz da zu sein, kann auch bedeuten: Ganz beim Partner zu sein. Während Frischverliebte nur Augen für den neuen Partner haben und diesem ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, kommt ihnen diese interessierte, zugewandte Haltung häufig im Verlauf einer langjährigen Beziehung abhanden. Wir meinen, unseren Partner bereits mit allen seinen Eigenheiten zu kennen und betrachten ihn in gewisser Weise als „selbstverständlich“.

Dabei kann eine achtsame Haltung jeder Beziehung eine neue Qualität verleihen und zu mehr Nähe und Verständnis führen. Zeige aufrichtiges Interesse für deinen Partner, dafür, was er tut, erzählt, dir zeigt, signalisiere ihm: Du bist mir wichtig, wenn wir zusammen sind, gehöre ich ganz Dir.

 


Achtsamkeit in der Kindererziehung

Berufstätige Eltern beiderlei Geschlechts haben oft das Gefühl, zu wenig Zeit mit ihrem Nachwuchs zu verbringen. Dabei ist jedoch weniger die Zeitdauer entscheidend, die man täglich mit seinem Kind verbringt, als deren Qualität. Häufig lassen sich berufliche Termine nicht verschieben oder abkürzen; mit ein bisschen Übung kannst du die wertvollen Minuten mit dem Kind aber für beide Seiten gewinnbringender gestalten.

Achtsamkeit in der Kindererziehung bedeutet, alle Gedanken an andere Lebensbereiche wie die Arbeit beiseite zu schieben und ganz im gemeinsamen Moment da zu sein. Wer sein Kind achtsam wahrnimmt, kann in jeder Situation individuell reagieren, statt gewohnte Verhaltensmuster abzuspulen. Dem Kind signalisiert eine achtsame Haltung Interesse, und euch als Eltern bietet sie die Möglichkeit, immer wieder Neues über die Welt eures Kindes zu erfahren.

 


Achtsamkeit in der Schule

Der Grundgedanke der Achtsamkeit, die akzeptierende und wertschätzende Grundhaltung, die der eigenen Person sowie anderen entgegengebracht wird, ist im Kontext der Schule besonders wichtig. Ein achtsamer Lehrer kann leichter auf seine Schüler mit ihren individuellen Stärken, Schwächen, Interessen und Nöten eingehen. Außerdem kann er die in der Achtsamkeit gelehrte offene Grundhaltung einsetzen, um sich auf jede Klasse und jede Schulstunde neu einzustellen.

Ein achtsamer Lehrer wirkt auch im Angesicht stressiger oder chaotischer Situationen ruhig und gelassen. Umgekehrt können Schulkinder, die gelernt haben, ihre eigenen Bedürfnisse und körperlichen Befindlichkeiten aufmerksam wahrzunehmen, ebenfalls besser mit schulischem Stress, sei es durch Prüfungen oder im Umgang mit Mitschülern, umgehen.

 


Achtsamkeit in der Psychotherapie/ Verhaltenstherapie

In der Psychotherapie, vor allem der Verhaltenstherpie, ist der Einsatz achtsamkeitsbasierter Methoden mittlerweile weit verbreitet. Eine achtsame Grundhaltung konnte in zahlreichen Studien als Wirkfaktor belegt werden, der die psychische Gesundheit fördert. Wird Achtsamkeit in der Psychotherapie eingesetzt, so sollten sowohl der Therapeut als auch der Klient eine achtsame Haltung kultivieren.

Während ein achtsames Gewahrsein den Therapeuten zu größerer Empathie und Offenheit befähigen kann, können Achtsamkeitsübungen dem Klienten beim Erkennen automatischer, nicht hilfreicher Denkmuster und der Entdeckung innerer Ressourcen helfen. Wird Achtsamkeit langfristig in einer Psychotherapie eingesetzt, so kann diese nach und nach die Auflösung von Spannungszuständen, Ängsten und sogar Schmerzen bewirken.

 


Achtsamkeit im Yoga

Im Yoga nach buddhistischer Lehre wird Achtsamkeit traditionell als eine bestimmte aufmerksame Geisteshaltung verstanden, die während der Übungen beibehalten werden sollte. Möglich ist hierbei eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Bewegungsabläufe und die damit einhergehenden körperlichen Empfindungen, aber auch z.B. die Wahl des eigenen Atems als Bezugspunkt. Schweifen deine Gedanken während der Übungen ab, so solltest du sie immer wieder sanft zum Körper bzw. zum Atem zurückleiten.

Wenn du Yoga mit Achtsamkeit kombinierst, verschaffst du dir die Möglichkeit, die bekannten Übungen mit allen Sinnen und mit voller Aufmerksamkeit zu erleben. Auf diese Weise kann die regelmäßige Yoga-Praxis eine größere Wirkung entfalten und die Übungen bewirken einen Zustand tiefer Entspannung. Diese lässt sich dann leichter in den oftmals stressigen Alltag mitnehmen und ermöglicht Ihnen mit der Zeit eine gelassenere Geisteshaltung, die dazu befähigt, klug mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen.

 


Achtsamkeit bei Depressionen

Besonders gut untersucht ist die Wirkung der Achtsamkeit bei Depressionen. Viele Depressive neigen dazu, sich in endlosen Grübeleien zu verlieren und haben die Tendenz, sich selbst in bestimmten Situationen automatisch gedanklich abzuwerten. In angeleiteten Achtsamkeitsübungen können Menschen, die an einer Depression leiden oder in der Vergangenheit depressive Episoden hatten, lernen, solche die depressive Verstimmung fördernden automatischen Gedanken zu erkennen.

Wenn du ernst, sogenannte „Grübelspiralen“ bewusst wahrzunehmen, kann dies langfristig dazu führen, dass du dich aus der depressiven Stimmung befreist. Ein weiteres Ziel der achtsamkeitsbasierten Therapie der Depression ist ein besserer Umgang mit negativen Gefühlen, die bewusst wahrgenommen und nicht unterdrückt werden sollen. All diese genannten Aspekte zählen zu den Grundgedanken der achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie der Depression (MBCT), die weltweit schon vielen tausend Menschen helfen konnte.

 


Achtsamkeit bei Essstörungen

Immer häufiger wird Achtamkeit auch bei der Therapie von Essstörungen eingesetzt. Esstörungen wie Magersucht, Bulimie oder das sogenannte „Binge Eating“, das sich durch Heißhungeranfälle und einen Kontrollverlust beim Essen auszeichnet, werden häufig von Zuständen starker Anspannung und von Ängsten bezüglich des Essens bzw. der Gewichtszunahme begleitet. Eine gezielte Achtsamkeitsmeditation kann hier den Patienten helfen, ruhiger zu werden und sich im ständigen Kampf gegen das eigene Gewicht Entspannungsoasen zu schaffen.

Viele Essgestörte setzen das Essen gezielt ein, um ihre Emotionen zu regulieren. So gelten negative Emotionen als wichtigster Auslöser von Essanfällen. In der Achtsamkeitsmeditation lernen Sie als Patient, ihre eigenen Gefühle besser wahrzunehmen und anders mit ihnen umzugehen. Auf diese Weise kann das übermäßige Essen bzw. die Essensverweigerung langfristig durch gesundheitsförderlichere Methoden abgelöst werden, um sich aus gedrückten Stimmungslagen zu befreien. Gleichzeitig kann das achtsame Essen, das die sinnlichen und wohltuenden Aspekte der Nahrungsaufnahme würdigt, zu einem veränderten Umgang mit bisher gemiedenen Lebensmitteln sowie dem Akt des Essens selbst führen.

 


Achtsamkeit bei Schmerzen

Chronische Schmerzen haben sich zu einer wahren Volkskrankheit entwickelt. Achtsamkeitsbasierte Methoden können eine gute Ergänzung zur medikamentösen und/ oder psychotherapeutischen Behandlung von Schmerzpatienten darstellen. In einer Studie wurde festgestellt, dass der Zustand der Achtsamkeit, der dem einer leichten Trance ähneln kann, zwar nicht die Stärke der Schmerzen vermindern, wohl aber deren Bewertung verändern kann. So bewerteten Patienten während einer Achtsamkeitsmeditation auftretende Schmerzen als weniger schlimm als solche, die sich nicht in einem achtsamen Zustand befanden.

Achtsamkeit kann Schmerzpatienten außerdem dabei helfen, sich aus ihrer gedanklichen Verstrickung in die Schmerzen und ihre Folgeprobleme zu lösen. Ständige Schmerzen sind eine zermürbende Erfahrung, und häufig kreisen Patienten mit einer chronischen Schmerzstörung nur noch um Themen, die mit ihrer Erkrankung im Zusammenhang stehen. Bei der Achtsamkeitsmeditation gegen Schmerzen lernst du, solche Gedanken bewusst wahrzunehmen und wieder loszulassen. Dieses gezielte Loslassen von Gedanken kann geübt werden, um den Leidensdruck im Alltag zu verringern.