Für viele Menschen ist ihr Beruf heute nicht mehr nur bloßes Mittel zum Broterwerb, sondern ein wichtiger Lebensinhalt, der ihnen Freude, Anerkennung und Selbstbestätigung gibt. In jedem Fall aber nimmt unser Arbeitsleben einen Großteil unserer Zeit in Anspruch, und nicht wenige verbringen mehr Stunden pro Woche im Büro als zu Hause mit ihrer Familie.
Umso wichtiger ist es, eine achtsame Haltung auch in den wichtigen Lebensbereich der Arbeit hineinzutragen. um die eigene Gesundheit langfristig zu erhalten und Kompetenzen im Umgang mit stressigen Situationen zu entwickeln.
Die Anforderungen einer veränderten Arbeitswelt
Immer wieder ist die Klage zu hören, dass die heutige Arbeitswelt viel komplexer sei als noch vor einigen Jahrzehnten. Und in der Tat ist unser berufliches Leben heutzutage geprägt von häufigen Jobwechseln und immer geringerer Sicherheit. Hinzu kommt, dass den Arbeitnehmern zunehmend mehr Flexibilität und Leistungsbereitschaft abverlangt werden. Vielleicht musstest du auch schon einmal für eine neue Arbeitsstelle den Wohnort wechseln und wissen, welche Belastungen die Eingewöhnung in einem neuen Umfeld und die Umstellung alter Gewohnheiten mit sich bringen kann. Hinzu kommt die ständige Erreichbarkeit, die viele Arbeitgeber fordern bzw. die viele Arbeitnehmer als ihre Pflicht empfinden.
Ertappst du dich auch immer wieder dabei, wie du nach Feierabend, zum Beispiel auf der Couch oder im Beisein deiner Familie, dein Smartphone zur Hand nehmen oder den Computer einschalten, um noch schnell eine Email zu beantworten? Vielleicht hast du dabei auch das Gefühl, dass Arbeits- und Privatleben zunehmend weniger zu trennen sind und sich immer stärker vermischen. Dies kann dazu führen, dass ein richtiges „Abschalten“ kaum noch gelingt.
Dein Feierabend verliert viel von seiner unbeschwerten und erholsamen Qualität, wenn du in Gedanken noch bei der Arbeit bist oder bereits die Herausforderungen des nächsten Tages planen. Hier kann eine achtsame Geisteshaltung helfen, sich auf den gegenwärtigen Moment zu besinnen statt sich in Grübeleien über zu Erledigendes oder Vergangenes zu verlieren. Auf diese Weise trennst du bewusst Arbeit und Privates und erlebst du Freizeitaktivitäten wieder bewusst und mit allen Sinnen. Dies ist nötig, um sich für die Anforderungen des nächsten Tages zu wappnen und die eigenen Ressourcen zu erhalten.
Achtsamkeit als Stressprophylaxe
Während bis vor einigen Jahren Meditation vielen Managern und Firmenleitern noch als Esoterik galt und das Prinzip der Achtsamkeit kaum jemandem bekannt war, hat die zunehmende Zahl von Fehlzeiten durch stressbedingte Erkrankungen wie Burnout und Depression diese Sichtweise radikal geändert. Langsam erkennen viele Arbeitgeber, dass sie für den Erhalt der Gesundheit ihrer Angestellten mit verantwortlich sind. Als Folge lassen immer mehr Firmen ihre Mitarbeiter in Achtsamkeit schulen, da sich herumgesprochen hat, dass diese ein kraftvolles Instrument im Umgang mit Stress und arbeitsbedingten Belastungen darstellt. Und immer mehr einflussreiche Manager bekennen sich dazu, ohne Meditation nicht mehr in der Lage zu sein, ihr Arbeitspensum von oftmals 60 Stunden in der Woche oder mehr zu bewältigen.
Achtsamkeitsübungen im Job
Auf den ersten Blick stellt der Arbeitsplatz einen denkbar ungünstigen Ort dar, um die eigene Fähigkeit, ruhig und wohlwollend den eigenen Körper, seine Gedanken und Gefühle und die Umgebung wahrzunehmen, zu trainieren. Rufe dir aber noch einmal ins Gedächtnis, dass genau dies der Ort ist, an dem du einen großen Teil deiner Lebenszeit verbringst.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Gelegenheiten, während der Arbeit eine achtsame Geisteshaltung einzunehmen. Die erste stellt zum Beispiel schon der Arbeitsweg dar. Wer das Glück hat, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit zu gelangen, sollte diesen täglichen Weg nutzen, um sich im gegenwärtigen Moment zu verankern. Dazu kannst du einmal probieren, mit allen Sinnen deine Bewegungen, deinen Atem, deine Umgebung und alles, was du in diesem Moment denkst oder empfindest, wahrzunehmen. Falls deine Gedanken zu anderen Themen wie dem bevorstehenden Arbeitstag wandern, bemühe dich, immer wieder sanft zum Hier und Jetzt zurückzukehren.
Auch im Auto lässt sich Achtsamkeit trainieren. Kennst du das Gefühl von Unruhe, wenn du bemerkst, dass du zu spät dran bist, oder den Ärger, wenn andere Verkehrsteilnehmer du in Ihrem Fortkommen behinderst? Nutze diese Emotionen, um ganz bewusst wahrzunehmen, was gerade in dir vorgeht. Spüre nach, wie Nervosität oder Ärger sich anfühlen und wo sich diese Emotionen körperlich niederschlagen.
Bei der Arbeit angekommen, nimm dir den Moment, in dem du den Computer hochfährst, als Anlass, sich zu erden. Spüre nach, wie sich der Sessel anfühlt, in den du sich gerade niederlässt. Achte auf den Duft von Kaffee, der morgens durch die Räume zieht.
Im Verlauf des Arbeitstages ist es sinnvoll, jede Aufgabe für sich und konzentriert durchzuführen statt viele Dinge gleichzeitig erledigen zu wollen. Du wirst feststellen, dass du auf diese Weise häufig sogar effektiver arbeitest. Auf jeden Fall kannst du so Ihre Arbeitsweise entschleunigen und zu mehr innerer Ruhe finden.
Freiräume schaffen
Du hast das Gefühl, dass dein Arbeitstag stets komplett durchgetaktet ist und keinen Raum für Achtsamkeit lässt? Viele Menschen haben sich mit bereits mit der Herausforderung konfrontiert gesehen, die antrainierte achtsame Haltung in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Tatsache ist: Dafür benötigst du Freiräume, und diese musst du dir schaffen, da sie nur selten bereitgestellt werden.
Die gute Nachricht dabei lautet, dass diese Freiräume häufig viel weniger Zeit in Anspruch nehmen, als du glaubst. Manche Arbeitnehmer berichten, mit ein bisschen Kreativität jeden Tag einige achtsame Momente schaffen zu können. Das kann das bewusste Kaffeekochen sein oder, wenn sonst gar keine Zeit bleibt, auch mal der Gang zur Toilette. Selbst während eines Meetings oder einer Konferenz wird es niemandem auffallen, wenn du gedanklich einen Moment innehälst und ein paar bewusste Atemzüge nehmen.
Fortgeschrittene in der Achtsamkeitsmeditation nutzen besonders stressige und belastende Momente, um wieder in Kontakt mit ihrem Körper zu treten. Situationen, in denen dies wichtig ist, können zum Beispiel ein schwieriges Telefonat oder ein gefürchtetes Gespräch mit dem Chef sein. Gerade in diesen Momenten neigen wir dazu, unsere Gefühle und körperlichen Empfindungen zu ignorieren und halbautomatisch und rein rational gesteuert zu „funktionieren“. Dabei sendet uns unser Körper häufig überaus kluge Signale, die uns bei unserer Entscheidungsfindung helfen könnten.
Wenn es dir mit ein bisschen Übung gelingt, mitten im größten Stress innezuhalten und die eigenen Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen, wirst du feststellen, dass du allein dadurch ein Stück weit Abstand gewinnst. Schon einige wenige bewusste, tiefe Atemzüge können dazu führen, dass wir aus der Spirale von Aktion und Reaktion aussteigen und uns fragen, was in der aktuellen Situation das Klügste wäre. Statt uns zum Beispiel unbewusst von einem Gefühl der Kränkung im Gespräch leiten zu lassen und etwas Verletzendes zu äußern, können wir unsere Emotionen bewusst reflektieren und beschließen, auf eine andere, uns selbst und unseren Mitarbeitern förderlichere Weise zu handeln.
Wirksamkeit der Achtsamkeit im Beruf
Ein Forscherteam untersuchte in einer Studie, wie sich ein gezieltes Achtsamkeitstraining auf die subjektiv empfundene berufliche Belastung auswirkt. Zu diesem Zweck erhielten 64 Probanden die Aufgabe, zwei Wochen lang selbständig mit einem Trainingsbuch zur Achtsamkeit sowie einer Trainings-CD, auf der Anleitungen zu Achtsamkeitsübungen eingespielt waren, ihre Achtsamkeit zu schulen. Außerdem sollten sie ein Tagebuch führen, in dem sie notierten, wie häufig sie geübt und wie sie sich dabei gefühlt hatten. Schließlich wurde erfasst, wie zufrieden sie zum jeweiligen Zeitpunkt mit ihrem Job waren. Alle Teilnehmer arbeiteten in Berufen, in denen sie viel Kundenkontakt hatten.
Zu den Übungen, die die Teilnehmer der Studie selbständig durchführten, zählten die Rosinen-Übung, bei der eine Rosine ganz bewusst wahrgenommen und gegessen werden soll (achtsames Essen), die Body Scan-Übung, bei der die Aufmerksamkeit nach und nach auf verschiedene Körperteile gelenkt wird (achtsame Körperwahrnehmung), der 3-Minuten-Atemraum (achtsame Wahrnehmung des Atems sowie von Gedanken, Gefühlen und körperlichen Empfindungen) und eine angeleitete Loving-Kindness-Meditation, bei der eine gütige und liebevolle Haltung allen Menschen gegenüber kultiviert wird, auch gegenüber solchen, mit denen man persönliche Schwierigkeiten hat. Schließlich wurden die Probanden angehalten, die eingeübte achtsame Haltung auch in ihr Alltagsleben zu übertragen und sich eine bestimmte alltägliche Routinehandlung wie zum Beispiel Zähne putzen oder den Müll runter bringen zu überlegen, die sie von nun an immer besonders achtsam ausführen würden.
Die Ergebnisse der Studie waren eindeutig: Teilnehmer, die während der zwei Wochen regelmäßig ihre Achtsamkeitsübungen durchgeführt hatten, berichteten weniger emotionale Erschöpfung im Job als Teilnehmer, die in der Kontrollgruppe waren und deshalb keine Achtsamkeit trainierten. Obwohl die objektiven Belastungen für beide Gruppen gleich waren, fühlten sich die achtsamen Probanden weniger ausgelaugt und gaben an, insgesamt zufriedener mit ihrem Beruf und weniger gestresst zu sein.
Interessanterweise zeigten sie auch seltener einen aufgesetzten Gefühlsausdruck wie ein reflexartiges Lächeln im Umgang mit Kollegen oder Vorgesetzten. Zu vermuten ist, dass sie gelernt hatten, einen besseren Kontakt zu ihren Gefühlen herzustellen und nur diejenigen zu zeigen, die sie auch wirklich empfanden. Dies scheint zu mehr Authentizität und einer größeren Zufriedenheit zu führen.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass Achtsamkeit eine umfassende Lebenseinstellung ist, deren Wirkung sich nicht nur auf die formale Meditation in einem Achtsamkeitskurs oder das private Umfeld beschränkt. Auch im Job entfaltet ein regelmäßiges Achtsamkeitstraining eine nachhaltige Wirkung und kann als Puffer im Umgang mit emotional anfordernden Tätigkeiten wirken. Schon ein paar Minuten Achtsamkeit pro Tag, sei es am Schreibtisch oder auch z.B. während eines Meetings, können langfristig den subjektiv empfundenen Stress reduzieren und so einer chronischen Erschöpfung im Arbeitsalltag und damit auch einem Burnout vorbeugen.
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