Immer mehr Pädagogen und Psychologen setzen sich dafür ein, das Prinzip der Achtsamkeit in den Schulalltag zu integrieren. Dies kann auf unterschiedliche Weisen geschehen: Zum einen können Kinder mithilfe der Achtsamkeit fit gemacht werden für eine immer forderndere Schullaufbahn sowie den Umgang mit Stress, Prüfungen und Schwierigkeiten in ihren sozialen Kontakten. Zum anderen können Lehrer selbst ihre Achtsamkeit schulen, um in pädagogischer Hinsicht von dieser alten buddhistischen Weisheit zu profitieren, die Qualität ihres Unterrichts zu verbessern und selbst gelassener mit den Herausforderungen des Schulalltags umgehen zu können.

Schließlich gibt es Bestrebungen, Achtsamkeit als Unterrichtsfach oder zumindest als Ausgleich zwischen den Schulstunden einzuführen und dadurch den Schülern zu mehr Konzentration, Aufmerksamkeit und allgemeinem Wohlbefinden im Mikrokosmos Schule zu verhelfen.

 

Kinder mit Achtsamkeit für die Schule fit machen

Der Schulbesuch ist eine der ersten großen Aufgaben des Lebens und bringt viele neue Herausforderungen mit sich. Zu Beginn stehen die Eingewöhnung und die Anpassung an einen strukturierten Stundenplan im Vordergrund. Mit der Zeit kommen soziale Schwierigkeiten im Umgang mit den unterschiedlichen Lehrkräften sowie den Mitschülern hinzu, von denen einige in einem ganz anderen Umfeld sozialisiert wurden.

Ab einem gewissen Alter gewinnen dann Prüfungen immer stärker an Bedeutung, es kommt zu Konkurrenzdenken und Versagensängsten, und nicht wenige haben Angst, ihren Abschluss nicht zu schaffen oder sind ratlos, was ihre Zukunftsplanung angeht.

 

Meditation als Hilfestellung in der Grundschule

Vom sechsten Lebensjahr bis zum frühen Erwachsenenalter ist die Schule der Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche mindestens die Hälfte des Tages aufhalten und der auch noch, in Form von Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitung, ihre Nachmittage und Abende bestimmt. Umso wichtiger ist es, die Achtsamkeit in diesen wichtigen Lebensbereich hineinzutragen und seinen Kindern ein machtvolles „Werkzeug“ an die Hand zu geben, um mit schulischen Belastungen aller Art gut zu Recht zu kommen. Bereits im Grundschulalter profitieren Kinder von Achtsamkeitsübungen, angeleiteten Meditationen und Fantasiereisen.

 

Die eigene Konzentrationsfähigkeit schulen

Kinder, die regelmäßig Achtsamkeitsübungen durchführen, können auf diese Weise ihre Konzentrationsfähigkeit, ihre Aufmerksamkeit und Kreativität verbessern und insgesamt zu einer höheren Lebensqualität und einem ganzheitlichen Wohlbefinden gelangen. Wer gelernt hat, eine bestimmte Sache mit allen Sinnen über mehrere Minuten hinweg ganz genau wahrzunehmen, kann sich oft besser fokussieren und bemerkt schneller, wenn er mit seinen Gedanken abschweift.

Diese Fähigkeit ist besonders für solche Kinder wertvoll, denen es schwer fällt, sich über längere Zeit zu konzentrieren und die deshalb schulische Nachteile haben. Durch die Achtsamkeit lernen sie zwar nicht, mehrere Stunden am Stück aufmerksam zu sein. Dies ist aber auch gar nicht das Ziel, denn selbst die meisten Erwachsenen verfügen nicht über diese Fähigkeit. Stattdessen üben sie sich darin, die eigene Aufmerksamkeit ständig zu überwachen und zu bemerken, wenn ihr Geist sich anderen Dingen zuwendet. Auf diese Weise können sie ein minutenlanges Abschweifen verhindern und schneller wieder zum Unterrichtsstoff zurückfinden.

 

Verbesserung der emotionalen Selbstregulation

Eine achtsame innere Haltung verbessert jedoch nicht nur die Selbstregulation der Aufmerksamkeit, sondern auch die Regulation der eigenen Emotionen. Achtsame Kinder haben gelernt, dass unsere Gefühle oft unser Verhalten quasi „automatisch“ steuern, ohne dass wir das bewusst entschieden haben. So kann beispielsweise die Angst vor einer Klassenarbeit oder ein Gefühl von Unsicherheit in einer sozialen Situation dazu führen, dass Kinder ihr Potenzial nicht ausschöpfen und sich dadurch selbst Nachteile schaffen.

Ziel der Achtsamkeit ist es hingegen, zunächst einmal ganz neutral die eigenen Gefühle wahrzunehmen, mögen sie auch noch so überwältigend sein. Allein dieses bewusste Gewahrsein nimmt den bedrohlichen Emotionen häufig eher den Schrecken, als wenn wir versuchen, diese zu ignorieren. Haben Kinder diese Methode in verschiedenen Situationen erfolgreich angewandt, so werden sie diese mit der Zeit als weniger angsteinflößend wahrnehmen. Mit einem Mal eröffnen sich so neue Handlungsperspektiven, aus denen Ihr Kind wählen kann.

Statt sich hilflos von der eigenen Angst leiten zu lassen, kann dein Kind diese nun reflektieren und sich mit der Zeit immer besser von ihr distanzieren. Die Erfahrung, den eigenen Gefühlen und Gedanken nicht ausgeliefert zu sein, verbessert den Selbstwert deines Kindes und ermöglicht es ihm, flexibel und klug auf eine Situation zu reagieren und die eigenen Emotionen zu regulieren.

 

Achtsamkeit im schulischen Miteinander

Auch wenn Achtsamkeit nicht als formales Unterrichtsfach eingeführt oder konkret gelehrt wird, so lassen sich doch einige der Grundsätze der Achtsamkeitslehre heranziehen, um das alltägliche Miteinander in der Klasse für alle Beteiligten angenehmer zu gestalten. Eine achtsame Haltung zeichnet sich durch eine größtmögliche Offenheit allen Wahrnehmungen gegenüber aus. Das jeweils Gehörte, Gesehen und Empfundene sollte dabei nach Möglichkeit nicht bewertet, sondern mit einer freundlichen Gelassenheit angenommen werden.

Diese Haltung lässt sich gut auf Gespräche im Unterricht oder Diskussionen in der Klasse übertragen. Als Lehrer kannst du mit gutem Beispiel vorangehen, indem du jedem Kind individuell deine Aufmerksamkeit schenken und seine Gedanken ernst nehmen. In der Folge sollten Gesprächsregeln für die ganze Klassengemeinschaft kultiviert werden, die in der Achtsamkeit fußen. Dazu kann zählen, dass man einander ausreden lässt und niemandem ins Wort fällt, auch wenn man der Meinung ist, die Antwort des Mitschülers sei nicht zutreffend. Oder dass man einen nebensächlichen Aspekt oder eine der eigenen entgegenstehende Meinung erst einmal zur Kenntnis nimmt, ohne sich sofort ein Urteil zu bilden und nach Möglichkeiten zu suchen, diese zu widerlegen.

Obwohl die Achtsamkeit nur eine innere Haltung beschreibt und keinerlei Verhaltensregeln aufstellt, wirst du feststellen, dass sie durchaus auch unseren Umgang miteinander beeinflusst. Wenn Schüler von klein auf lernen, dass jeder jedem aufmerksam zuhört und falsche Antworten oder mangelhafte Leistungen nicht abgewertet werden, entwickeln sie einen größeren Respekt für ihre Mitschüler und verhalten sich entsprechend. In einer achtsamen Klasse sollte zum Beispiel klar sein, dass Auslachen und Hänseln tabu sind.

Achtsamkeit kann helfen, den Klassenzusammenhalt zu stärken.
Achtsamkeit kann helfen, den Klassenzusammenhalt zu stärken.

Auch kann die Achtsamkeit dazu beitragen, die Integration von Kindern mit unterschiedlichem kulturellen Hintergründen in den Klassenverband zu erleichtern. Als Lehrer kannst du eine offene Haltung vorleben, indem du Neugier und Interesse für die Erfahrungen ausländischer Kinder oder Kinder mit einer anderen Religion zeigen und deren Erzählungen und kulturellen Besonderheiten Aufmerksamkeit schenkst. Auf diese Weise lebst du deinen Schülern vor, dass jeder Mensch gleichwertig ist und wir ihn nur kennen lernen können, wenn wir uns ihm achtsam zuwenden.

 

Achtsamkeit im Umgang mit Schulstress

Die Verkürzung der Schulzeit und die häufige Umstellung von Lehrplänen bedeutet sowohl für Schüler als auch für Lehrer ein erhöhtes Stressniveau. Schon Unterstufenschüler klagen über zunehmenden Druck und zu wenig Erholungsphasen. Da die stressprotektive Wirksamkeit der Achtsamkeitsmeditation gut untersucht ist, bietet es sich an, sowohl Lehrkräfte als auch Kinder mithilfe von Achtsamkeitsübungen resistenter gegenüber Stress zu machen.

Als Lehrer lernst du in einem Achtsamkeitskurs, eingefahrene Denk- und Arbeitsmuster durch eine neue, flexible Herangehensweise zu ersetzen. Viele Pädagogen treten enthusiastisch und mit vielen neuen Ideen ihre Schullaufbahn an- nur um nach einigen Jahren festzustellen, dass sie in genau dieselbe lähmende Routine verfallen sind wie ihre älteren Kollegen, von denen sie sich abgrenzen wollten.

 

Meditieren im Unterricht – Auch für Lehrer “erfrischend”

Hier kann die Achtsamkeit dabei helfen, wieder zu einem „Anfängergeist“ zurück zu finden, indem in verschiedenen Übungen eine offene, neugierige und wohlwollende Haltung allen Wahrnehmungen gegenüber trainiert wird. Die Verankerung im Hier und Jetzt ermöglicht es Ihnen, jedem Schüler interessiert und aufmerksam zu begegnen, ohne sich gleichzeitig Gedanken um die nächste Klassenarbeit oder den nächsten Elternabend zu machen. Du wirst erleben, dass du dich wieder wie früher für die Dinge begeistern kannst.

Die ersten, die diese Veränderung wahrnehmen werden, sind deine Schüler, die dich im Idealfall mit einer größeren Motivation und Lernbereitschaft belohnen. In jedem Fall aber wird eine achtsame Haltung deine ganz persönliche Freude am Beruf aufrechterhalten bzw. wiederherstellen.

 

Auf den eigenen Körper hören

Achtsamkeit schult die Selbstwahrnehmung, was auch dazu führt, dass die Antennen für das eigene Wohlbefinden sensibilisiert werden und schneller Alarm schlagen, wenn sich etwas im Ungleichgewicht befindet. Statt jahrelang unter großer Anspannung auf den Burn-out hinzuarbeiten, hast du so die Möglichkeit, auf deinen Körper zu hören und rechtzeitig die Notbremse zu ziehen, zum Beispiel, indem du deine Stundenzahl reduzierst.

 

Stilübungen, Yoga, Phantasiereisen im Unterricht fördern Selbstwahrnehmung

Auf der anderen Seite eignet sich der Unterricht hervorragend, um auch den Kindern und Jugendlichen den Gedanken der Achtsamkeit näher zu bringen. Beispielsweise kannst du mit der ganzen Klasse eine einfache Achtsamkeitsmediation wie den Body Scan durchführen und dich mit den Kindern anschließend im Plenum über ihre Erfahrungen austauschen. Es ist auch möglich, immer wieder einmal Yoga- oder Qi Gong-Übungen in den Schulalltag zu integrieren oder eine Phantasiereise mit den Kindern zu unternehmen. Auch das achtsame Hören von Musik mit anschließender Feedback-Runde kann sehr erholsam wirken und zum Beispiel die Anspannung vor einer wichtigen Klassenarbeit verringern.

Durch solche Übungen lernen Kinder, ihre Gedanken und Gefühle besser wahrzunehmen und zu akzeptieren. Dies ermöglicht einen gelasseneren Umgang mit den eigenen Schwächen und Misserfolgen, die sich in der Schule zwangsläufig manchmal einstellen. Und auch für Schüler ist es wichtig, rechtzeitig zu erkennen, wenn der eigene Körper eine Überforderung signalisiert. Viele Eltern wollen dies nicht wahrhaben und übertragen ihre eigenen Ambitionen auf den Nachwuchs. Wer gelernt hat, auf die Signale zu hören, die der eigene Körper aussendet, kann leichter stopp sagen und zum Beispiel zusammen mit den Eltern über einen Schulwechsel nachdenken.

 

Stressfolgen bei Schülern

Körperliche Beschwerden wie chronische Kopfschmerzattacken oder häufige Bauchschmerzen nehmen bei Schulkindern immer mehr zu. Oft handelt es sich um psychosomatische Beschwerden, und die Ärzte können keine organische Ursache finden.

Durch gezielte Achtsamkeitsübungen kannst du mit deinem Kind den Umgang mit solchen körperlichen Symptomen üben. Dazu gehört, ihm zu vermitteln, dass die erlebten Schmerzen oder unangenehmen Empfindungen nicht gefährlich sind und deshalb auch nicht als bedrohlich bewertet werden sollten.

Durch das achtsame Hineinhören in den eigenen Körper machen Kinder die Erfahrung, dass die gefürchteten Schmerzen nach einer Weile ganz von selbst wieder weggehen und deshalb nicht „bekämpft“ werden müssen. Diese Erkenntnis kann sehr entlastend wirken und langfristig zu einer Linderung der Symptome oder zumindest mehr Gelassenheit im Umgang mit den psychosomatischen Beschwerden führen.

Zurzeit werden mehrere Versuche durchgeführt, Elemente der Achtsamkeit in den Schulalltag zu integrieren. Dieser Trend stammt aus den USA, doch mittlerweile gibt es auch in Australien und Europa einige Schulen, die die Lehre der Achtsamkeit zu einem festen Bestandteil des Schulstoffes gemacht haben und auf diese Weise gute Erfolge erzielen.