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Liebe Freundin, lieber Freund,

ich möchte dir über meine Erfahrungen in Shanghai berichten. Leider steht Shanghai in großem Kontrast zu anderen Gegenden Asiens, die ich bisher bereist habe. Kaum jemand lächelt, der Standard-Gesichtsausdruck ist mürrisch-unfreundlich, und wenn jemand doch ein Lächeln auf der Straße zeigt und man diese Person dann anlächelt, wandelt sich das Lächeln in der Regel in den bekannten unfreundlich-mürrischen Blick. Menschen in der U-Bahn drängeln um Sitzplätze, als ginge es um ihr Leben. Im Straßenverkehr kann man froh sein, dass jemand bei Rot anhält.

Kurz gesagt: Ich habe Shanghai als sehr abweisend und unfreundlich wahrgenommen. Allerdings: die Menschen ändern sich , wenn man mit ihnen in Kontakt tritt und sie kennenlernt. Im öffentlichen Raum herrscht dagegen Ellbogenmentalität. Mit zwei Ausnahmen…

 

Kinder und Ältere scheinen gelassener und glücklicher zu sein

Kinder werden in China umsorgt und versorgt wie kaum sonst an einem Ort der Welt. Die Ein-Kind-Politik gibt es zwar nicht mehr, aber durch die hohen Lebenshaltungskosten leisten sich viele Familien nur ein Kind. Und diese wird dann wie eine Prinzessin oder ein kleiner Prinz behandelt. Die Kinder hier platzen demzufolge vor Selbstbewusstsein, sind fröhlich, neugierig und ausgelassen.

Doch irgendwann im Schulalter verwandelt sich die Unbeschwertheit in eine Jugend voller Druck und Hürden, die zu nehemn sind. Das setzt sich im Erwachsenenalter fort. Die Last des Konkurrenz- und finanziellen Drucks scheint erst wieder zur Rente von den Schultern der Shanghaier abzufallen. Dann erlebt man wieder herzlich lachende Rentner, die freundlich und zuvorkommend sind.

 

In Deutschland verläuft es recht ähnlich

Nun stelle ich mich als Deutscher hier nicht hin und möchte Misstände in China anprangern (wobei Shanghai auch nicht repräsentativ für ganz China ist), denn bei uns läuft es ganz ähnlich, das ist es, was ich als “Glückslücke” bezeichne – die Zeit zwischen dem 10. und dem 40./50. Lebensjahr. Während Kinder bis zum Grundschulalter Narrenfreiheit haben und sich selbst entfalten dürfen, stellt sich zur 3. oder 4.Klasse, wenn es als um den Übertritt an eine weiterführende Schule geht, der Leistungsdruck ein. Die Abschaffung der 13.Klasse hat ihr Übriges getan, um aus unseren Kindenr und Jugendlichen kleine Lernmonster zu machen, denen noch nicht mal die Chance gegeben wird, zu überlegen, was sie denn nach der Schule machen möchten. Denn meist werden die Hoffnungen der Eltern auf das Kind projiziert, und dann muss es natürlich ein Medizin- oder Jurastudium sein. Nach dem Studium steckt man in einem Beruf, den man nicht möchte, bis man Anfang, Mitte 40 eine Krise bekommt die man zuerst versucht mittels einer Psychotherapie in den Griff zu bekommen.

Spätestens beim zweiten Burn-Out Anfang 50 merkt man, dass man sein Leben gründlich ändern muss, um wirklich glcüklich zu sein. Eine solche Krise war für viele von uns sicher der Auslöser, sich mit Meditation zu beschäftigen, den Job zu kündigen und sich selbständig zu machen oder die erkaltete Beziehung zu verlassen.

Aber warum dauert es so lange, bis wir handeln, um das Leben zu führen, das wir wirklich führen wollen? Weil unsere Eltern und Teile der Lehrer uns gepredigt habe, dass mit der Schule der “Ernst des Lebens” beginne, dass man “die Ellbogen ausfahren müsse”, um etwas im Leben zu erreichen.  All das geschieht aus purer Angst vor dem Scheitern des Kindes, was das eigene Scheitern bedeuten würde.

 

Wie können wir die Kenntnis um die Glückslücke für uns und unsere Kinder nutzen?

Zuerst dadurch, dass wir ehrlich zu uns und unseren Kindern sind. Krisen sind etwas ganz Normales und der erste Schritt in eine andere, glücklicher machende richtung. Eltern sollten nicht vorgeben, perfekt zu sein und ihren Kindern auch zeigen, dass sie Schwächen haben. Aber vor allem: Wir sollten unseren Kindern die Chance geben, eigene Entscheidungen zu treffen und sich bewusst zu werden, ob sie wirklich Jurist, Arzt oder vielleicht ja Fotograf oder Musiker werden möchten.

Unsere Kinder wissen, was die Chancen auf ihr Lebensglück erhöht. Lassen wir sie einfach machen und nur unterstützend eingreifen, wo es wirklich nötig ist. Bringen wir ihnen die Meditation nahe, um wirklich ganz bei sich zu sein. Und widersprechen wir ganz bestimmt den Menschen, die unseren Kindern beibringen möchten, dass Leben Pflichterfüllung, Mühe und Ernst sei. Dafür ist es viel zu kurz. So werden aus unseren Kindern selbstbestimmte, freie Menschen, die im Alter zwischen 10 und 40 vielleicht ein wenig glücklicher sind als ihre Altersgenossen.

 

Was denkst du darüber? Ich bin gespannt auf deine Meinugnen und Erfahrungen!

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